Wie führt man eine Wahrsagerin an den deutschen Arbeitsmarkt heran? – Eine kleine Fallgeschichte über die Bedeutung von Unkonventionalität für Gelingensprozesse

Beim Aufräumen vor einigen sind mir ein paar handschriftlich beschriebene Blätter in rumänischer Sprache in die Hände gefallen. Ich erinnerte mich sofort an ihre Herkunft. Eine ehemalige Klientin hat auf diesen Blättern vor einigen Jahren ein schriftliches Horoskop für mich verfasst, um sich für die erfolgreiche Zusammenarbeit bei mir zu bedanken. Ich will im Folgenden von unserem Beratungsprozess erzählen, der etwas Wichtiges über die Bedeutung von Unkonventionalität und Kreativität für das Gelingen von Beratungs- und Vermittlungsproessen lehrt.

Frau B und ich lernen uns während meiner früheren Tätigkeit als Jobcoach kennen, bei der ich die Aufgabe habe Kunden des örtlichen Jobcenters mit Vermittlungshemmnissen an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Frau B ist eine äußerst liebenswürdige Dame mittleren Alters, die vor allem durch ihre gute Laune und Fröhlichkeit auffällt und damit jeden Raum mit Leben, Wärme und Güte erfüllt. Bei der Analyse ihrer Berufserfahrungen und ihrer Kompetenzen wird jedoch schnell klar, dass es eigentlich unmöglich ist Frau B in eine bezahlte Stelle auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu vermitteln. Frau B spricht praktisch kein Deutsch, weswegen wir uns mühsam mit Händen und Füßen verständigen müssen. Zudem wird recht schnell klar, dass sie nicht alphabetisiert ist, was die Anbindung an einen neuen Sprachkurs wenig zielführend erscheinen lässt. Als ich Sie schließlich frage, was sie in Rumänien gearbeitet hat, gibt sie an als selbstständige Wahrsagerin tätig gewesen zu sein.

Schon zu einem frühen Zeitpunkt unseres Beratungsprozesses muss ich Frau B zu verstehen geben, dass ich kaum eine Möglichkeit sehe eine Arbeit für sie zu finden. Frau B. ist sehr enttäuscht darüber und macht mir klar, dass Sie wahnsinnig gerne tätig sein wolle. Sie wolle unter Menschen sein und sei bereit jede Arbeit auszuprobieren. Mithilfe von Google Translate versuchen wir anschließend gemeinsam einzugrenzen, welche Tätigkeitsfelder sie interessieren. Wir kommen schließlich gemeinsam darauf, dass sich Frau B gerne um ältere Menschen kümmere, denen sie mit ihrer fröhlichen Art gerne gute Laune verschaffe. Ich fange also an Pflegeheime anzurufen und nach einem Praktikumsplatz für Frau B. zu fragen. Gegenüber den Ansprechpartnern schwärme ich von Frau Bujak‘s Güte und Herzlichkeit. Ihre zentrale Kompetenz als Wahrsagerin erwähne ich nicht. Nach einigen Telefonaten gelingt es mir die Betreuungsleiterin einer Pflegeeinrichtung zu überzeugen und Frau B zu einem Kennenlerngespräch einzuladen. Am Schluss unseres Gesprächs erklärt die Betreuungsleiterin, dass wir wenigstens einen Lebenslauf mit den zentralen beruflichen Stationen per E-Mail übermitteln sollen.

Diese letzte Aufgabe bringt mich etwas in die Bredouille. Ich überlege einige Tage wie ich die zentrale beruflichen Erfahrung von Frau B. benennen kann und komme schließlich auf die Bezeichnung „Spirituelle Beraterin in Selbstständigkeit“. Ich schicke den Lebenslauf per E-Mail raus und hoffe das Beste. Eine Woche später findet das Kennenlerngespräch statt zudem ich Frau B begleite. An dem Gespräch in der Einrichtung nehmen die Betreuungsleiterin und die Pflegedienstleiterin teil. Die Pflegedienstleiterin fragt sofort, was sich hinter der Tätigkeit „Spirituelle Beraterin“ verbirgt. Ich denke „Mist, das war es jetzt“, zögere kurz und entschließe mich offen zu sein und sage: „Was soll’s. Frau B ist Wahrsagerin.“ Zu meiner völligen Verblüffung sagt die Pflegedienstleiterin: „Das ist ja ganz wunderbar. Wie toll. Ich lege auch Tarokarten.“ Die Pflegedienstleiterin findet Frau B’s Ausstrahlung und Herzensgüte so toll, dass sie ihr ein 6-wöchiges Praktikum anbietet. Im Praktikum gelingt es Frau B alle relevanten Handgriffe und Abläufe auf rein praktische Weise so weit zu vermitteln, dass man sie anschließend dauerhaft im Rahmen eines 165 Euro Jobs als zusätzliche Betreuungskraft anstellt.

Was lernt man aus dieser Geschichte? Mit ernsthaftem Engagement, unkonventionellen Wegen und etwas Glück sind auch in scheinbar ausweglosen Fällen Gelingensmomente möglich.

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