Heute in der Supervisionssitzung wurde von einer Kollegin ein Thema eingebracht, dass alle Professionellen im Beratungs- und Therapiekontext kennen. Ein Klient macht eine eher negativ konnotierte Bemerkung über den Urlaub des Beraters oder Therapeuten. Eine solche Bemerkung kann in verschiedenen Formen daher kommen. Etwa als flapsig, provokative Bemerkung „Sie machen ja schon wieder Urlaub“, oder als Kritik über mangelnde Präsenz gegenüber einer Vertretung oder in einer Hilfekonferenz. Wie man damit professionell umgeht, hängt vor allem von der Deutung der Aussage des Klienten ab.
Ich möchte drei Deutungen und mögliche Reaktionen beispielhaft diskutieren:
Die flapsige Bemerkung über den wiederholten Urlaub des Beraters oder Therapeuten kann erstens als Provokation gedeutet werden. Interpretieren wir die Aussage gar als Angriff, weil wir uns aufgrund einer intensiven Arbeitsperiode nach unserem wohlverdienten Urlaub sehnen, laufen wir Gefahr, uns zu ärgern und in eine Art Rechtfertigungszwang zu geraten und glauben unser Recht auf Urlaub begründen zu müssen. Mit dieser Reaktion geht die Tendenz einer Entgrenzung der Kommunikation einher, insofern wir mit der Rechtfertigung unserem Klienten die Möglichkeit zusprechen, uns den Urlaub abzusprechen. Sinnvoller kann es hier einfach sein mit Lockerheit zu reagieren und etwa die Selbstverständlichkeit und Wichtigkeit von Urlaub zu markieren. „Na, klar, mache ich Urlaub und danach bin ich richtig erholt.“
Die Bemerkung des Klienten lässt sich zweitens als Kritik und Hilferuf interpretieren: „Sie sind ja nicht für mich da.“ Unabhängig von der Berechtigung dieser Kritik, drückt sich darin eine Gleichsetzung der Hilfe mit uns als Helfer durch den Klienten aus. Spüren wir diese Abhängigkeit unserer Klienten, bekommen wir unter Umständen ein schlechtes Gewissen. Häufig drücken Klienten mit dieser Äußerung, auf Enttäuschung basierende, bestätigende Erwartungen aus oder sie versuchen sich ihrer Eigenverantwortung durch äußere Personalisierung zu entledigen („Schuld sind die anderen“). Eine sinnvolle Reaktionsweise kann deshalb Versachlichung und Fokussierung auf den Auftrag sein: „Ich bin ja bald wieder da. Was denken Sie, was könnten Sie in der Zwischenzeit tun? Zudem kümmert sich meine Kollege um Sie. Rufen Sie ihn an, wenn es ein Problem gibt.“ Manchmal richten Klienten ihre Klage auch an die Vertretung: „Der kümmert sich gar nicht um mich.“ Statt diese „Einladung zur Spaltung“ (von Schlippe; Schweitzer 2015: S. 143) anzunehmen, bieten sich auch hier die Versachlichung und Fokussierung auf Aufgaben gepaart mit einem Unterstützungsangebot als Strategie an: „Nehmen wir an, mein Kollege wäre da, woran würden Sie mit ihm arbeiten wollen? Dabei kann ich ihnen gerne helfen.“
In der Bemerkung „Sie machen schon wieder Urlaub“ kann sich drittens einfach ein berechtigter Ausdruck von Neid äußern. Fragten wir nach, könnten wir vom Klienten vielleicht folgendes erfahren: „Sie können es sich leisten. Haben Sie es gut. Ich bin dagegen immer hier.“ In dieser Schilderung äußert sich jedoch nicht nur Neid über die schöneren Urlaubsgöglichkeiten des Beraters. Der Klient macht damit auch kenntlich, dass er sich der großen Unterschiedlichkeit der Welten des Beraters und des Klienten, ihren differenten Mitteln, Chancen und Horizonten völlig bewusst ist. Es ist als würde der Klient feststellen: „Sie leben so. Und ich lebe eben so. Sie leben gut. Ich lebe begrenzt.“ Das ist ein wichtiger Hinweis für Beratende, denn es erinnert an die anderen, häufig deutlich beschränkteren, Möglichkeiten, über die Klienten verfügen, an das Möglichkeitsgefälle das in der professionellen Beziehung unter Umständen besteht. Darauf kann man reagieren, in dem man den Klienten zu seinen realistischen und erreichbaren Wünschen befragt und zu ersten Schritten ermutigt: „Was wäre denn ein guter Urlaub für Sie? Was müssten sie dafür tun?“
Die nur scheinbar harmlose Bemerkung eines Klienten „Sie machen ja schon wieder Urlaub“ fordert uns je nach Deutung zu einer angemessenen Reaktionsweise heraus. Versteht man die Äußerung als freche Äußerung kann darauf mit Lockerheit und Lässigkeit reagiert werden, statt sich auf Kampf und Rechtfertigung einzulassen. Interpretieren wir die Bemerkung als Kritik und Hilferuf bieten sich Versachlichung und Lösungsorientierung als Reaktion an. Wird die Äußerung als Ausdruck von Neid und des Bewusstseins eines Möglichkeitsgefälles gedeutet, können die Wünsche des Klienten thematisiert und bearbeitet werden.
Insbesondere dieser letzte Fall ist von herausragender Bedeutung in der Beratung mit Klienten, die über wenig Ressourcen und Kompetenzen verfügen. Wegen der Fokussierung auf Ressourcen und ihrer Aktivierung gibt es die Tendenz, Ressourcen zu betonen und ggf. zu überhöhen, die nicht wirklich vorhanden sind oder jedenfalls nicht genutzt werden können. Dann ist die Aufgabe des Beraters zur Beförderung der Bedingungen zur Nutzung vorhandener Ressourcen beizutragen. Das ist zumeist eine schwere Geburt und harte Arbeit.
Literatur:
Von Schlippe, Arist; Schweitzer, Jochen (2015): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II. Das störungsspezifische Wissen.