Das Sozialamt soll wieder Deutsche Heimat werden. Anlässlich der feierlichen Vereidigung von Horst Seehofer zum Heimatsminister

Heute der erste Besuch im Sozialamt. Ich dachte immer das Jobcenter, z.B. in Neukölln sei schon heftig, mit all diesen Dramen von Menschen am Existenzlimit. Aber das Sozialamt ist zweifellos ein noch trostloserer Ort. Überall Kranke und Alte, Kranke und Alte, Kranke und Alte, mit und ohne Migrationshintergrund. Eine explosive Mischung, deren Zündschnur das Hauen und Stechen, Gedränge und Gekeife vor den Büros der Sachbearbeiter während der Sprechzeiten ist; Sachbearbeitern, die wegen Personalmangel feste Zuständigkeiten aufgehoben haben und Fallakten täglich rotieren lassen.
Die Folge also: Menschen am Limit. Und dann wirds schnell braun. Ich saß keine Minute da als eine diplomierte Sozialpädagogin plötzlich anfing über mich zu reden. Sie hielt mich für den Sohn meiner Klientin und damit für einen Ausländer. Und so zeterte sie, dass das alles nicht gehe mit den Ausländern, die zwei neue Telefone haben (ich mit Dienst- und Privathandy) und das Geld hinterhergeworfen bekämen. Auf meinen höflichen Hinweis, dass sie mich fälschlich anklage und das ihre Art generell unverschämt sei, erklärte sie, dass sie als Flüchtlingshelferin in Kambodscha, Indien und Deutschland gearbeitet habe, dass sie eine Menschenfreundin sei und sich auskenne. In Deutschland aber gehe das alles nicht mehr mit rechten Dingen zu. Sie fühlte sich im Recht, so wie die anderen auch. Deutsche am Limit. Und dann wirds halt schnell braun, überall auf dem Flur. In 30 Minuten hörte ich das Argument, „Den Ausländern werde alles in den Arsch geschoben“, insgesamt fünfmal. Nein, nicht leise dem Nachbarn ins Ohr flüsternd, sondern lautstark über den Flur sprechend. Die Krönung aber war ein großgewachsener Mann, Mitte 60, mit grauer Glatze. Ungefragt fing er an zu erzählen: „Seehofer wird endlich aufräumen.“ Ich hätte nicht fragen sollen, was er meint, aber ich fragte. Und so antwortete er: „Massenabschiebungen. Endlich kommen Massenabschiebungen“. Na dann. Wenn das die Rettung sein soll.

Also Horst, mach doch bitte, bitte, bitte, dass die Schlangen in den Sozialämtern wieder kürzer werden. Am Besten auch an den Tafeln. Wozu haben wir denn dieses tolle Heimatministerium. Das Sozialamt muss wieder zur Deutschen Heimat werden. Ganz klar. Dann können sich die armen Deutschen noch ein bisschen länger darüber täuschen, dass im aktivierenden Sozialstaat irgendjemand irgendetwas einfach so hinterhergeworfen wird. Dann können sie weiterhin übersehen, dass alle Menschen, ob deutsch, halb-, viertel-, achtel, sechszehntel-deutsch, die gleichen Anträge stellen müssen und von durch Personalmangel in den Ämtern bedingten Falschbescheiden sowie teilweise verbreiteter Willkür und Ignoranz permanent in Existenzkrisen gestürzt werden. Aber gut, vielleicht geht es den armen Deutschen ja wirklich etwas besser, wenn sie nur untereinander um das Überleben kämpfen.

Das es einfach für alle Armen mehr und auf einfacherem Wege mehr geben sollte, das ist natürlich undenkbar in diesem unfassbar reichen Land, dessen Reichtums- und Einkommensschere trotz des ewigen Aufschwungs einfach nicht merkelich abnehmen will. Im Überlebenshabitus sagt die Solidarität adieu. Vielleicht. Aber wenigstens nicht die Höflichkeit. Und so zeigte sich ganz unerwartet zwischen all der Ruppigkeit eine respektvolle ältere Dame voller Anstand. Wie ein Blümchen stach sie aus dem drängelnden Unkraut, das auch ich wurde (natürlich nur unter Zeitdruck und professionellen Zielen, also professionelles Unkraut sozusagen), hervor. Sie war dran, drängte jedoch nicht ins Büro. Sie wartete ganz ruhig und sagte: „Ach, wissen Sie, ich bin zum ersten Mal da und habe jetzt so lange gewartet. Ich will den armen Sachbearbeitern doch nicht noch mehr Druck und Ärger machen. Die tun sicher, was sie können.“ Immerhin. Und das Schöne ist, sie hat ja recht. Mehr Geld für alle, mehr Lohn und Personal in den Ämtern und Vereinfachung dieser ewig komplizierten, fehleranfälligen Bedarfsberechnungen. Schön wär’s.

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