Alltagssexismus und kommunikationspraktische Interventionen

In einem sehenswerten Videobeitrag von Doccupy schildern verschiedene Politikerinnen ihre Erfahrungen zur Rolle ihres Geschlechts im politischen Arbeitsalltag des Bundestages. Gestandene Berufspolitikerinnnen wie Katja Kipping berichten darin, wie männliche Kollegen Argumente mit Schmeicheleien über Ohrringe kommentieren, von der kompetenten, gut aussehen Fraktionsvorsitzenden sprechen oder Kolleginnen einen Platz im Ausschuss für Soziales wegen ihrer Mutterrolle vorschlagen. Die Berichte sind als anschauliche Beispiele für die Subtilität und vermeintliche Harmlosigkeit sexistischer Kommentare instruktiv.

Leider enthalten die Berichte der Politikerinnen keine Informationen zu ihren Reaktionsweisen. Das ist schade, denn die kommunikative Reaktion ist ein wichtiges Werkzeug, um Veränderung und Umdenken wirksam zu befördern. Damit soll nicht gesagt werden, dass die Aufgabe des konstruktiven Umgangs mit sexistischen Kommentaren nun ausgerechnet den Frauen zukomme. Auch anwesende Dritte könnten wirksam intervenieren. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Art von Interventionen unter welchen Bedingungen sinnvoll wäre.

Die aktuelle Sexismusdebatte liefert hier wenig bis keine Anhaltspunkte. In bestimmten Teilen der Debatte lässt sich vielmehr eine gewisse Tendenz beobachten, aus Taten schnell Täter zu machen oder eine generelle sexistische Gesinnung zu unterstellen und das Label Sexist zu vergeben. Wie wenig sinnvoll gesprochen und diskutiert wird, lässt sich auch daran ablesen, dass potentielle Täter (Täter qua Geschlecht) beginnen, sich sogar selbst zu überführen. Ein Beispiel hierfür sind die Berichte männlicher Redakteure der Taz über fehlende Courage oder tatsächliche Verfehlungen, die letztlich nicht mehr als gutgemeinte Bekenntnisse sind. Es ist nichts dagegen einzuwenden, ja es ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn sich Männer in der Rückschau qua Reflexion sensibilisieren. Es wird jedoch völlig absurd, wenn sich ein Redakteur für das rein innerliche sexuelle Begehren einer lesbischen Frau, die dieses nicht erwiderte, schämt. Denn das fördert einfach keine Verständigung.

Die Gedanken sind frei, bitte lasst uns reden

Verständigung kann nur dort entstehen, wo sich Beteiligte über gemeinsam erlebte Situationen austauschen. Statt jedoch miteinander zu reden, werden Gedanken verboten, ja klagen sich Personen für ihre Gedanken an. Problematisch ist daran, dass sich der Fokus von sexistischen Praktiken und dem Umgang mit ihnen, potentiell zur vermeintlichen Gesinnung männlicher Akteure verschiebt. Nicht nur, dass die Gesinnung einer Person niemals einer zweifelsfreien Prüfung unterzogen werden kann. Vielmehr werden nur mehr Sexisten entdeckt und angeprangert, statt wirksame Interventionen zu diskutieren. Seit Rainer Brüderle sind Skandalisierung und öffentliche Thematisierung die verbreitesten Mittel in der Sexismusdebatte. Skandalisierung und öffentliche Erfahrungsberichte sind sehr wichtige politische Strategien, um Sexismus in seinen vielfältigen Facetten als gesellschaftliches Problem zu markieren und zu thematisieren. Als Kommunikationspraktiken für Betroffene und beteiligte Dritte taugen sie jedoch nicht.

Kommunikationspraktische Interventionen

Welche Möglichkeiten der kommunikationspraktischen Intervention gegenüber einem sexistischen Kommentar gäbe es denn? Die Familientherapeutin Virginia Satir hat vier typische Kommunikationsmuster unterschieden, mittels derer Probleme artikuliert werden (Satir 1990: S. 115 ff.)

  • Anklagen bedeutet, bei jemand anderem die Schuld zu suchen.
  • Relativieren heißt, die Ursache des Problems bei sich selbst zu suchen.
  • Rationalisieren adressiert die Ursache des Problems bei den Umständen.
  • Ausweichen artikuliert sich im Ignorieren und Ablenken vom Problem.

Satir analysiert in ihrem Buch „The New Peoplemaking“ diese Kommunikationsmuster im Hinblick auf innere Dialoge und ihren Zusammenhang mit dem Selbstwert einer Person. Diese Kommunikationsmuster werden im Folgenden als äußere Reaktionsweisen betrachtet und die möglichen kommunikativen Anschlüsse untersucht, die sie nahelegen. Denn die Reaktion auf einen sexistischen Kommentar, fördert oder verhindert eine Korrektur des Sprechers, regt zum Nachdenken an oder mündet in Abwehr.

In Anlehnung an eine Schilderung von Katja Kipping wird folgende Situation konstruiert. In einem Arbeitsgespräch mit einem männlichen Kollegen entwickelt eine Frau ein Argument. Als Reaktion komplimentiert der Kollege die hübsche Bewegung der Ohrringe der Frau während ihrer Schilderung. Wie könnte sie darauf reagieren? Sie könnte seinen Kommentar als sexistisch anklagen oder ihn gar als Sexist beschuldigen. Sie könnte seine Aussagen relativieren, in dem sie sich selbst für ihr unnötig weibliches Auftreten beschuldigt. Sie könnte sein Verhalten als „Kenn ich schon. Machen die alle.“ rationalisieren. Sie könnte ablenken, in dem sie so tut als sei der Kommentar kein Problem für sie.

Entschlösse sich die Frau, das Thema anzusprechen, produzierte sie eine potentiell krisenhafte Situation mit ihrem Gesprächspartner. In direkter Interaktion gelten dabei besondere Bedingungen, nämlich die wechselseitige Geltung von Selbstachtung und Zurückhaltung (Goffmann 1986). Es muss nämlich eine Kommunikationsform gewählt werden, die es ermöglicht, dass beide ihr Gesicht bewahren können. Dies entscheidet wesentlich darüber, inwiefern sich der männliche Gesprächspartner offen gegenüber dem Anliegen der Frau zeigt. Das ist wichtig, denn Verständigungs- und Lernbereitschaft von Gesprächspartnern kann nicht einfach erwartet oder unterstellt werden, sie muss kommunikativ hergestellt werden. Dies ist eine große Kunst. Virginia Satir formuliert dies, in etwas pathetischer Weise, so:

„Ich pflege meinen Studenten zu sagen, sie seien dann am Ziel ihrer Bemühungen angelangt, wenn sie in der Lage seien, jemandem ohne Umschweife und auf eine Weise zu sagen, er habe einen üblen Geruch, dass der Betroffene das Gefühl hat, man habe ihm ein Geschenk gemacht.“ (S. 111)

Wie also könnte die Frau in unserem Beispiel reagieren, um dem Mann seinen üblen sexistischen Geruch als Geschenk zu vermitteln. Sie könnte, unter der Voraussetzung eines gewissen Wohlwollens für diesen Kollegen, etwa sagen: „Normalerweise freue ich mich über Komplimente. Ich finde es in dieser Situation gerade jedoch sehr unpassend und fühle mich mit meinem Argument nicht ernstgenommen. Sagen Sie doch bitte etwas zu meinem Argument.“ Ich bin sicher, dass die Chancen nicht schlecht stehen, dass sich der Kollege entschuldigt und zur Sache zurückkommt. Er erhält damit die Gelegenheit sich zu korrigieren und die interaktive Entgrenzung wird überwunden.

Es ist völlig klar, dass die gewählte Reaktion in einer konkreten Situation von der Interaktionsgeschichte mit dem Gesprächspartner als auch den generellen Erfahrungen mit sexistischen Kommentaren bestimmt werden. Wer ständig mit sexistischen Kommentaren konfrontiert ist, hat u.U. keine Lust mehr, diese zu parieren oder er hat gar das Vertrauen in die Lernbereitschaft von männlichen Gesprächspartnern verloren. Hier landet man schließlich doch bei dem von Virginia Satir untersuchten Zusammenhang von äußeren und inneren Kommunikationsmustern. Welches kommunikative Ziel ein Sprecher mit seiner Reaktion auf einen sexistischen Kommentar anstrebt, hängt entscheidend von seinen Wünschen, Bedürfnissen und inneren Dialogen ab.

Wo im Bereich des Möglichen, ist die beispielhafte Rückkehr zur Sache jedoch erstrebenswert. Sie ermöglicht eine Korrektur der entgrenzten Interaktion und enthält für den Gesprächspartner eine implizite Einladung zum Nachdenken und Lernen. Eine solche Strategie ist auch für kleine, wirkungsvolle Interventionen durch anwesende Dritte in entsprechenden Gruppensituationen nutzbar. Natürlich erfordert dies eine Prise Mut und es bleibt ein Risiko, das die Interaktion eskaliert. Will man jedoch richtig miteinander reden, sollte man seinem Gesprächspartner sachliche Kritik zumuten. Man könnte dabei auch positiv überrascht werden.

Mit Ambivalenztoleranz geht’s einfacher

Machen wir uns jedoch nichts vor. Die vermeintliche Dummheit der Meinungen einzelner Menschen, die uns immer wieder mal begegnet, sind eine enorme Zumutung und zumeist das größte Hindernis für eine Verständigung in strittigen Themen. Mit sechszehn Jahren war ich überzeugt, dass Frauen dümmer seien, nicht einparken können und schlechter Karten lesen. Eine sehr gute Freundin stritt mit mir darüber und kritisierte mich heftig. Immerhin hatte ich eine Freundin, die beharrlich Widerspruch äußerte und versuchte, mir zu recht die Leviten zu lesen. Ich blieb in dieser Sache stur und sie trotzdem eine Freundin. Ihre Ambivalenztoleranz in jungen Jahren war beachtlich. Möglicherweise wäre es wirkungsvoller gewesen, mir die kränkenden Aspekte meiner sexistischen Überzeugungen deutlich vor Augen zu führen. Dann hätte ich sie vielleicht schneller verstanden. Wir waren noch jung. Man kommt letztlich ja doch ans Ziel und lernt, Dinge anders zu sehen. Es dauert nur länger. Heute weiß ich längst, dass meine Ansichten grober Unfug und eine Zumutung für diese Freundin waren.

Eine ganze andere Angelegenheit sind Vergewaltigungen und andere körperliche Übergriffe auf Frauen. Harvey Weinstein gehört lange, lange ins Gefängnis oder ihm gehören die Eier abgeschnitten. Die Entscheidung darüber ist eine Frage der Rechts- und Gerechtigkeitsauffassung und eine Geschmacksfrage. Das ist wiederum eine andere komplizierte Sache…

Literatur

Goffman, Erving (1986): Interaktionsrituale. Frankfurt.

Satir, Virginia (1994): Kommunikation – Selbstwert – Kongruenz. Konzepte und Perspektiven familientherapeutischer Praxis. Paderborn.

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